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Warum Scale-ups erfahrene Fachkräfte übersehen – und was das mit unterschwelliger Altersdiskriminierung zu tun hat

Ein Erfahrungsbericht aus der Beratung wachstumsstarker Unternehmen



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In Deutschland sprechen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit Jahren vom zunehmenden Fachkräftemangel. Der Ruf nach qualifizierten Arbeitskräften wird immer lauter – besonders in wachstumsstarken Unternehmen, den sogenannten „Scale-ups“. Doch ausgerechnet diese Firmen zeigen sich häufig überraschend zurückhaltend gegenüber älteren, erfahrenen Mitarbeitern, obwohl gerade diese in der Phase der Skalierung wertvolle Impulse setzen könnten. Warum ist das so?


Viele Scale-ups setzen auf ein junges, oft homogenes Team. Die Gründe dafür sind vielfältig – und nicht immer rational. Einerseits herrscht die Vorstellung, dass ältere Mitarbeiter nicht „kulturfit“ seien: Man fürchtet, sie könnten mit modernen Tools oder der agilen, flexiblen Arbeitsweise junger Teams nicht Schritt halten. Andererseits gibt es unterschwellige Bedenken bezüglich Hierarchien und Machtverhältnissen – insbesondere dann, wenn eine erfahrene Fachkraft dem deutlich jüngeren Gründerteam gegenübersteht. Die Angst, dass jemand mit „zu viel“ Erfahrung bestehende Entscheidungen in Frage stellen könnte, ist real. In vielen Scale-up-Unternehmen beobachte ich daher als Berater immer wieder dasselbe Muster: Trotz akutem Fachkräftemangel, ambitionierten Wachstumszielen und dem Bedürfnis nach Stabilität in der Skalierung tun sich viele dieser Firmen schwer damit, erfahrene – insbesondere ältere – Fachkräfte/ Manager einzustellen. Das hat tieferliegende Gründe. Und es ist nicht nur ein kulturelles Phänomen, sondern auch ein wirtschaftlicher Blindspot.


„Cultural Fit“ als zentrales Auswahlkriterium – und sein Preis

Scale-ups befinden sich in einer hochdynamischen Entwicklungsphase. Sie haben das Start-up-Stadium verlassen, ein marktfähiges Geschäftsmodell etabliert und streben nun nach schnellem, oft internationalem Wachstum. Dabei müssen belastbare Prozesse, effiziente Strukturen und neue Führungsmodelle meist parallel entwickelt und operationalisiert werden. Das erzeugt enormen Druck auf die Organisation – und auf die Menschen darin. Genau hier liegt eigentlich die Stärke vieler erfahrener Manager: Sie bringen nicht nur fachliches Know-how mit, sondern auch fundierte Kenntnisse in Change-Management, Organisation und Krisenbewältigung.

Doch viele Gründerteams setzen bei der Personalauswahl stark auf den „Cultural Fit“. Gemeint ist damit nicht bloß Team-Kompatibilität, sondern eine sehr spezifische Kombination aus Mindset, Tempo, Flexibilität und Kommunikationsstil. Was inhaltlich nachvollziehbar erscheint, wird in der Praxis schnell zur Einbahnstraße: Wer nicht dem kulturellen Idealbild entspricht – jung, agil, digital-native, wachstumsorientiert – wird häufig gar nicht erst ernsthaft in Betracht gezogen.

Das Problem: Damit werden hochqualifizierte, erfahrene Fachkräfte systematisch ausgeblendet. Und das nicht wegen mangelnder Kompetenz, sondern wegen wahrgenommener „Inkompatibilität“.


Altersdiskriminierung – subtil, aber wirksam

In Gesprächen mit Scale-up-Führungskräften höre ich Aussagen wie: „Zu gesetzt für unser Tempo“, „Bringt zu viel eigene Agenda mit“, oder: „Wird sich schwer tun mit unserer Remote-first-Logik“. Solche Aussagen meinen meist nicht mangelnde Qualifikation – sie deuten auf ein diffuses Unbehagen gegenüber Erfahrung, Reife und abweichenden Arbeitsstilen hin.

Was hier passiert, ist eine Form der Altersdiskriminierung – unausgesprochen, aber real. Der Cultural Fit wird so zur stillen Eintrittsbarriere. Und das ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern aus unternehmerischer Sicht ein Versäumnis.


Was Scale-ups dadurch verpassen

Gerade in der Skalierungsphase könnten erfahrene Fachkräfte enorme Mehrwerte liefern: Sie bringen Führungs- und Change-Erfahrung mit, haben bereits komplexe Projekte strukturiert, Krisen gemeistert und Systeme skaliert. Ihre Perspektive ist nicht langsamer – sie ist reflektierter. Und genau das kann in einem Umfeld, in dem Geschwindigkeit und Unsicherheit dominieren, zur entscheidenden Stabilitätsressource werden.

Außerdem zeigen zahlreiche Studien, dass altersgemischte Teams innovativer, resilienter und strategisch vorausschauender agieren. Wer diese Stärke nicht nutzt, weil sie nicht „kulturell passt“, betreibt Risikomanagement mit angezogener Handbremse.


Erfahrung + Agilität = Zukunftsfähigkeit

Natürlich müssen sich auch erfahrene Bewerber auf neue Arbeitskulturen einlassen – auf hybride Teams, auf Geschwindigkeit, auf technologische Offenheit. Doch viele sind dazu durchaus bereit. Die Vorstellung, ältere Fachkräfte seien nicht lernbereit oder nicht teamfähig, ist ein Klischee, das mit der Realität oft wenig zu tun hat.

Was es braucht, ist die Bereitschaft auf beiden Seiten: auf Seiten der Bewerber, sich offen und anschlussfähig zu zeigen – und auf Seiten der Unternehmen, ihre Vorstellung von „Fit“ neu zu definieren. Es geht nicht darum, möglichst ähnliche Menschen zu versammeln, sondern möglichst wirksame.


Mein Fazit aus der Beratungspraxis

Cultural Fit darf kein Deckmantel für Konformität oder Angst vor abweichenden Erfahrungen sein. Gerade Scale-ups, die eine langfristige Skalierung anstreben, sollten sich fragen: Welche Perspektiven und Expertisen fehlen uns eigentlich – und warum?

Wer ausschließlich in der eigenen kulturellen Komfortzone rekrutiert, baut keine resiliente Organisation, sondern eine fragile. Die Kombination aus Energie und Erfahrung, Agilität und Reflexion ist kein Kompromiss – sie ist der Schlüssel zu nachhaltigem Wachstum.

Erfahrung ist nicht das Gegenteil von Innovation. Sie ist oft ihre Voraussetzung.

 
 
 

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